Definition von Composable Commerce
Der Grundgedanke des Composable Commerce-Ansatzes ist es, die einzelnen Funktionen, Aufgaben und Prozesse, die innerhalb einer Onlineshop-Infrastruktur notwendig sind, voneinander zu entkoppeln und in jeweils eigene, speziell für die entsprechende Teilaufgabe ausgelegte, Technologien und Services zu auszulagern. Diese einzelnen Softwarekomponenten werden via APIs verbunden und kommunizieren in Echtzeit über Schnittstellen miteinander. Sie bleiben dabei prinzipiell unabhängig voneinander und sind somit per definitionem auswechselbare Bestandteile innerhalb einer modularen E-Commerce-Architektur. Die Software-Module können jeweils auf unterschiedlichen Technologie-Stacks basieren und durch verschiedene Abteilungen oder Dienstleister betreut werden.
Das MACH-Prinzip als Fundament des Composable Commerce-Konzepts
Composable Commerce fußt auf dem MACH-Prinzip (Mircoservices-basiert, API-first, Cloud-Native, Headless) und gibt eine konsequente Technologie-Strategie für das gesamte Unternehmen vor. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die einzelnen Funktionalitäten in eigene, schlanke Lösungen ausgelagert werden und über Schnittstellen miteinander kommunizieren (Microservices & API-first). Die Komponenten werden dabei in Cloud-Anwendungen – für gewöhnlich SaaS- oder PaaS-Lösungen – betrieben. Der MACH-Grundsatz gibt zudem ganz klar Headless Commerce vor, also die technologische Trennung der Backendanwendungen wie E-Commerce-System, Content Management System oder CRM von dem Frontend.
Abgrenzung von traditionellen E-Commerce Architekturen
Das exakte Gegenteil vom Composable Commerce-Approach ist das monolithische System, welches fast alle Anforderungen innerhalb einer einzigen Anwendung in sich vereint. Dieses, oft auch E-Commerce-Suite genannte, System deckt also beispielsweise von der Produkt- und Lagerverwaltung über das Kundenmanagement und CMS bis hin zu Auftragsabwicklung und Reporting weitestgehend alle Funktionen ab. Hier gibt es klassischerweise höchstens ein paar externe Dienste wie Recommendation Engines oder komplexe Suchfunktionen, die per API an den Monolithen angedockt werden.
Bei einer Composable Commerce-Struktur ist die Komplexität der Schnittstellen-Architektur zwar sehr viel höher, die der eigentlichen Systeme hingegen vergleichsweise gering. Somit wird der Aufwand für die Weiterentwicklung und Pflege der Gesamtstruktur ebenso wie der für das früher oder später immer notwendige Debugging einzelner Funktionen überschaubar gehalten – insbesondere, wenn die technisch für die verschiedenen Komponenten Verantwortlichen ihr Handwerk verstehen und gut miteinander kommunizieren.
Eine Zwischen-Variante sind klassische E-Commerce-Frameworks wie beispielsweise das Shopware-E-Commerce-System. Diese bieten auf der einen Seite den großen Funktionsumfang monolithischer Systeme, stellen mit ihrem API first-Ansatz und der Modularität ihrer Komponenten aber zeitgleich auch eine gute Möglichkeit zur Anbindung von ERPs, PIMs und CRMs sowie Cloud-basierten Anwendungen wie Newsletter-Tools, Marketing Automation-Software oder BI-Anwendungen zur Verfügung. Oftmals wird bei derartigen Setups, die beispielsweise aus einer E-Commerce-Software wie Shopware 6, einem ERP wie MS Dynamics 365 Business Central und einem PIM-System wie Akeneo bestehen, auch von Best of Breed-Lösungen gesprochen.
Vorteile von Composable Commerce
Die theoretischen Vorteile eines Composable Commerce-Ansatzes liegen auf der Hand: Er vermeidet es, sich als Unternehmen von einem zentralen System abhängig zu machen. Durch den Spezialisierungsgrad der beteiligten Komponenten können zudem die eigenen Anforderungen in den jeweiligen Bereichen wie Produktdatenmanagement, Reporting oder Customer Relation-Management besser und vollständiger abgedeckt werden, als dies bei einem einzigen System der Fall wäre. Das Ziel ist es, dass sich Business Cases nicht nach der Software richten sollen, sondern andersrum: Business-Anforderungen bestimmen die Auswahl der einzelnen Komponenten. Durch die Kapselung der Funktionen in eigene Anwendungen werden die Bestandteile des Gesamtsystems austauschbar, ohne dass das gesamte E-Commerce-Setup gewechselt werden müsste. Hierdurch lassen sich auch neue Anforderungen in einer bestehenden Infrastruktur einfacher und schneller befriedigen.
Nachteile und Kritikpunkte
Auch wenn eine Composable Commerce-Architektur auf den ersten Blick und als theoretisch skizzierte Infrastruktur höchst vorteilhaft erscheint, gibt es ein paar Gesichtspunkte, die dringend betrachtet werden sollten.
Um ein E-Commerce-System mit dem MACH-Prinzip auf die Beine zu stellen, ist es unter anderem erforderlich, dass alle Komponenten für Real Time-API-Anbindungen ausgelegt sind. Durch den Einsatz von verschiedenen Cloud-Softwares ist zudem in der Regel eine leistungsfähige Middleware unabdingbar.
Wenn Sie sich für die Einführung eines modular aufgebauten E-Commerce-Setups entschieden haben, sollten Sie auch damit rechnen, dass sowohl die Laufzeit des Projekts als auch das nötige Budget anwachsen werden. Konzeptionell wie auch in der Umsetzung sind nicht nur mehr Parteien – nämlich die Entwickler und Manager der einzelnen Komponenten – involviert, auch die Anzahl der Schnittstellen-Prozesse erhöht sich deutlich. Standards des einen Moduls sind nicht unbedingt mit den Standards eines anderen Kompatibel und müssen gegebenenfalls neu gebaut werden. Während Shopware 6 beispielsweise von Haus aus eine Storefront bereitstellt, welche alle Basis-Funktionen abdeckt, muss in einem Shopware Headless-Konstrukt das Backend erst an die von Ihnen gewählte Frontend-Lösung angebunden werden – inklusive aller Funktionen wie Produktseiten, Warenkorb, Checkout oder Kundenkonto. Das Projektmanagement muss die Tätigkeiten aller an dem System beteiligten Agenturen und Abteilungen koordinieren, damit diese nicht aneinander vorbei arbeiten oder sich geänderte Anforderungen oder Blocker in dem einen System nicht zu stark auf die Funktionen oder die Timeline eines anderen Teams auswirken. Ähnliches gilt auch für den gesamten Testing-Prozess.
Composable Commerce mit Shopware 6: Ein beispielhaftes Szenario
In einer vollständig modularen E-Commerce-Infrastruktur verwenden Sie nur die Teile des Admin-Bereichs von Shopware 6, die für die tatsächlichen Commerce-Funktionalitäten zuständig sind. Für das Frontend können Sie entweder ein PWA-Framework wie die Vue Storefront oder eine eigenständige CMS-Headless-Lösung wie Styla einsetzen. ERP, PIM, CRM und DAM werden vom Frontend per Rest API in Echtzeit angesprochen, um die notwendigen Informationen wie Produktlisten, Lagerbestände, Preise, Kundeninformationen oder Lieferbeschränkungen abzurufen und sie ihren Besuchern darzustellen. Neben diesen Systemen können Sie optional noch eine Recommendation Engine, Tools zur Marketing Automation, Newsletter-Dienste oder externe Checkout Services an das Frontend anbinden.
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Rein technisch betrachtet ist die vollständig modulare Systemarchitektur ein optimales Setup für E-Commerce-Strukturen, das sich vor allem für agile, dynamische und größere Unternehmen gut eignet. Es ist flexibel, in seinen einzelnen Bestandteilen perfekt auf die spezifischen Anforderungen zugeschnitten und grundsätzlich sehr skalier- und erweiterbar. Insbesondere in einer immer schneller werdenden E-Commerce-Branche können das entscheidende Vorteile sein. Gleichzeitig neigt aber eben jene E-Commerce-Branche auch dazu theoretische Idealzustände zum heiligen Gral zu machen. In der perfekten Welt spielen Zeit und Budget selten eine große Rolle. In der Realität ist es aber mehr als das. Erheblich höhere Kosten für die initiale Einführung und längere Umsetzungszeiträume fordern mehr Ressourcen und Kapazitäten, sowohl In-House als auch extern. Für ein klassisches E-Commerce-Szenario, das die Anforderungen vieler Unternehmen immer noch gut abdeckt, kann es schnell unwirtschaftlich werden. Zusätzlich müssen alle Systeme mitspielen. Wenn auch nur eine der für den Composable Commerce benötigten Komponenten über keine brauchbaren APIs verfügt, dann muss dieses durch ein moderneres System ersetzt werden, was häufig Auswirkungen auf mehrere Unternehmensbereiche hat.
Wir empfehlen, sofern Composable Commerce für Ihr Unternehmen nicht perspektivisch absolut sinnvoll ist, eher pragmatische und auf die Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Setups nach dem Best-of-Breed-Ansatz - diese sind zwar technologisch nicht immer State-of-the-Art, erfüllen aber dennoch alle Anforderungen an E-Commerce-Technologie: Denn diese ist auch nur ein Mittel zum Zweck, um optimale Angebote für Kunden zu schaffen, dem eigenen Business zu seinem Erfolg zu verhelfen und zudem technologisch gar nicht so weit vom Composable Commerce entfernt, wie man es meinen sollte, wenn man nur die Buzzwords im Auge hat.
Wenn Sie Fragen haben oder aktuell nach Beratung suchen, kontaktieren Sie uns gerne - wir besprechen Ihr Szenario gerne unverbindlich mit Ihnen!